TERRE DES FEMMES | Vergewaltigung – Schluss mit der Straflosigkeit!

TERRE DES FEMMES setzt sich mit der Unterschriftenaktion „Vergewaltigung – Schluss mit der Straflosigkeit!“ ein für eine Reform des Gesetzes zu Vergewaltigung (§177 StGB).

Vergewaltigung ist sexualisierte Gewalt.
Bei sexualisierter Gewalt werden sexuelle Handlungen benutzt, um Gewalt auszuüben. Ziel sexualisierter Gewalt ist Verletzung, Demütigung, Erniedrigung und Unterwerfung.
Sexuelle Handlungen sind dabei quasi die „Tatwaffe“.

Das Erleben sexualisierter Gewalt ist ein traumatisches Ereignis und kann massive Trauma-Folgestörungen verursachen. Zu den Symptomen einer Posttraumatischen Belastungsstörung gehören u.a. Nachhallerinnerungen, Vermeidungsverhalten, Erinnerungslücken, Übererregung, Schlafstörungen, Reizbarkeit, Konzentrationschwierigkeiten, erhöhte Schreckhaftigkeit.

Sexualisierte Gewalt beinhaltet nicht unbedingt nur die Androhung oder Ausübung körperlicher Gewalt. Eine Bedrohung entsteht schon durch die Ausnutzung körperlicher oder geistiger Überlegenheit, ebenso wie durch den Missbrauch von Macht aufgrund einer höheren sozialen, wirtschaftlichen oder beruflichen Stellung.

Betroffene schweigen.
Scham- und Schuldgefühle machen stumm.
Betroffene schweigen aus Angst. Aus Angst vor Täterdrohungen. Aus Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird oder ihnen eine (Mit-) Schuld vorgeworfen wird.

Vergewaltigung wird nur sehr selten zur Anzeige gebracht.
Noch seltener sind Verurteilungen.

Grafik: Die Spitze des Einsbergs. © TERRE DES FEMMES

Quelle: TERRE DES FEMMES

Die Erstattung einer Anzeige nach einer Vergewaltigung bringt erhebliche psychische Belastungen mit sich.

Der Tathergang muss detailiert geschildert werden.
Das Spechen über das, was erlitten wurde, stellt eine Nähe zum Ereignis dar und damit auch zum Trauma-Erleben selbst. Gefühle von (Todes-) Angst, Ohnmacht und Ausgeliefertsein während der Vergewaltigung drängen ins Bewusstsein und werden (wieder) spürbar.

Dissoziation (Unterbrechung der normalerweise integrativen Funktionen von Bewusstsein, Gedächtnis, Identität, Wahrnehmung) ist ein Symptom von Trauma-Folgestörungen.
Dissoziation ist ein Schutzmechanismus, der den menschlichen Organismus bewahrt vor der Überwältigung von Erinnerungen, Wahrnehmungen, Empfindungen, die psychisch (zu diesem Zeitpunkt) noch nicht integriert werden können.
Das erklärt lückenhafte bzw. widersprüchliche Erinnerung an das Ereignis und/oder scheinbare Emotionslosigkeit.
Für Beweisaufnahme und juristische Bewertung ist Dissoziation nachvollziehbarerweise problematisch.

Eine weitere Problematik besteht in der Sicherung gerichtsverwertbarer Spuren.
Anonyme Spurensicherung ist derzeit nur in wenigen Kliniken möglich.

In der Rechtsmedizin des UK-SH in Lübeck können Spuren gesichert werden, unabhängig davon, ob eine Anzeige beabsichtigt ist oder (noch) nicht.
Informationen dazu sind erhältlich beim WEISSEN RING
Außenstellenleiter Lübeck: Detlef Hardt
Telefon: 0451 – 59 73 29

Während des Gerichtsprozess wird die Betroffene als Zeugin geladen. Als Zeugin ist sie zur Aussage verpflichtet.
Ratsam ist das Auftreten als Nebenklägerin mit anwaltlicher Vertretung. Durch die RechtsanwältIn kann Akteneinsicht genommen und eigene Anträge bei Gericht können gestellt werden.

Derzeit besteht kein Rechtsanspruch auf dringend erforderliche psychosoziale Prozessbegleitung. Die Betroffene muss sich selbst darum bemühen.
Psychosoziale Prozessbegleitung wird z.B. angeboten von örtlichen Frauenberatungsstellen und dem WEISSEN RING.

Ursache für die erschreckend geringe Anzahl von Verurteilungen ist begründet im Gesetzestext selbst. Der Straftatbestand der Vergewaltigung ist nur erfüllt bei Androhung bzw. Anwendung von massiver Gewalt durch den Täter und körperlicher Gegenwehr des Opfers.

Es kann u.U. lebensrettend sein, keine Gegenwehr zu leisten.
Eine (vortraumatisierte) Frau wird bei einer Vergewaltigung möglicherweise zu keinerlei Gegenwehr fähig sein. Grund dafür sind traumabedingte Reaktionsmuster wie z.B. der Totstellreflex (Freeze).

TERRE DE FEMMES setzt sich ein für eine Reform des §177 StGB.

„TERRE DES FEMMES ist eine gemeinnützige Menschenrechtsorganisation für Frauen. Laut der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ von 1948 haben Frauen und Mädchen das Recht, selbstbestimmt, frei und in Würde zu leben.“

TERRE DE FEMMES weist auf gravierende Mängel des §177 StGB ( Gesetz zu Vergewaltigung) hin:

„Momentan ist der Straftatbestand Vergewaltigung nicht erfüllt, wenn der Täter „nur“ sexuelle Handlungenan der Betroffenen gegen deren Willen ausführt. Es ist laut des § 177 zusätzlich erforderlich, dass
  • der Täter entweder physische Gewalt anwendet
  • oder in der Vergewaltigungssituation der Betroffenen mit „ gegenwärtiger Gefahr für Leib oderLeben“ droht (das bedeutet, dass er ihr mit sofortiger Körperverletzung oder dem Tode droht)
  • oder, dass sich die Frau in einer sogenannten „schutzlosen Lage“ befindet, in der sie dem Täterausgeliefert und Widerstand zwecklos ist (z.B. allein im Wald).
Es kann also sein, dass die Frau „nein“ sagt, sich versteift und die ganze Zeit über weint, aber weil sie keinen körperlichen Widerstand leistet, den der Täter mit Gewalt oder Drohungen hätte überwinden müssen, liegt im (derzeitigen) Rechtssinne keine Vergewaltigung vor. Ein „Nein“ der Betroffenen reicht nicht aus, damit ein Täter wegen Vergewaltigung verurteilt wird.“
TERRE DE FEMMES fordert
  • (dass,) „die Person bestraft wird, die ohne Einverständnis der anderen Person sexuelle Handlungen an ihr vornimmt
  • Rechtsanspruch für Betroffene auf psychosoziale Prozessbegleitung
  • Möglichkeit der Videovernehmung muss häufiger angewendet werden
  • auf Wunsch der Betroffenen Ausschluss der Öffentlichkeit aus dem Verfahren
  • u.a.“
Eine Teilnahme an der Unterschriftenaktion
„Vergewaltigung – Schluss mit der Straflosigkeit!“

ist online möglich.
Es steht auch eine Unterschriftenliste zum Download zur Verfügung.

Die Entscheidung für bzw. gegen eine Anzeige ist eine höchst individuelle.
Betroffene brauchen gute psychotraumatologische Beratung bzw. traumatherapeutische Begleitung, um Belastungen und Konsequenzen einer Strafanzeige individuell abzuwägen und eine für sie passende Entscheidung zu treffen zu können.

Welche Bedeutung eine Verurteilung des/der Täter für die Betroffene hat, muss vorsichtig geklärt werden. Es kann retraumatisierend wirken, wenn vor Gericht „der Täter davon kommt“.

Auch ohne eine Verurteilung des/der Täter können Anzeige und Prozess für Betroffene ein wichtiger Schritt auf dem Weg der Heilung sein.
Die eigene Handlungsfähigkeit zu erleben kann Gegengewicht sein zu den Ohnmachtsgefühlen während der Vergewaltigung. Es kann als befreiend erlebt werden, „aufzustehen und der Welt zu sagen: DAS WAR UNRECHT!“

Jede Frau hat das Recht, ihre ganz eigene Entscheidung zu treffen.
Jede Frau muss die Wahl haben.
Jede Frau hat es verdient, die Unterstützung zu bekommen, die sie braucht.

Psychische Belastungen durch polizeiliche Vernehmung, Beweisaufnahme und Gerichtsprozess sind nicht vollständig zu vermeiden.
Ein traumasensibler Umgang und ein Verhalten aller Beteiligter, das die Würde der Betroffenen achtet, sollte eine Selbstverständlichkeit sein.

Das Strafgesetzbuch muss endlich auch in Deutschland anerkennen, dass es ausreicht, wenn eine Frau Nein sagt.

Zum Weiterlesen:

TERRE DE FEMMES Unterschriftenaktion „Vergewaltigung – Schluss mit der Straflosigkeit!“

ARD tagesschau. de Gewalt gegen Frauen in Deutschland

Kampagne #ichhabnichtangezeigt

blog_gestalttherapie_luebeck „Sexueller Missbrauch | Folgen sexualisierter Gewalt“

blog_gestalttherapie_luebeck „WEISSER RING Opferhilfe“

blog_traumatherapie_luebeck Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland – Kurzfassung

FrauenHelpline Schleswig-Holstein Vergewaltigung / Sexuelle Nötigung