Die Initiative Phoenix – Bundesnetzwerk für angemessene Psychotherapie e.V. fordert eine Ergänzung der Psychotherapie-Richtlinie um einen Behandlungsrahmen für komplexe Traumafolgestörungen.
Auftrag der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) ist es, eine Behandlung zu gewährleisten, die geeignet ist, körperliche Krankheiten und psychische Störungen zu lindern bzw. zu heilen oder die einer Verschlechterung entgegenwirken kann.
Hierfür erarbeiten Gremien Richtlinien für Art und Umfang zugelassener Behandlungsverfahren.
Für die psychotherapeutische Versorgung bedeutet dies, dass nur PsychotherapeutInnen mit Approbation psychische Störungen behandeln dürfen und das auch nur, wenn eines der drei Richtlinienverfahren angewandt wird (tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie [TP], Verhaltenstherapie [VT], Psychoanalyse [PA]).
Approbierte PsychotherapeutInnen können den Bedarf an Psychotherapieplätzen schon lange nicht mal im Ansatz decken. Wartezeiten auf einen Psychotherapieplatz von 6 Monaten und mehr sind keine Seltenheit.
Noch eklanter ist die Unterversorgung bei der Behandlung von komplexen Trauma-Folgestörungen. Hier spielt u.a. auch eine Rolle, dass traumatherapeutische Kenntnisse zur Behandlung chronischer traumabezogener Dissoziationen der Persönlichkeit üblicherweise zusätzlich zur psychotherapeutischen Grundausbildung erworben werden müssen.
Zudem zeigt die Praxis auch, dass für die Behandlung früher komplexer Traumatisierungen ein Stundenkontingent nach GKV-Richtlinien von 80 bzw. 100 Therapiestunden (VT/TP) vollkommen unzureichend ist.
TherapeutInnen mit einer Heilerlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz (HeilprG) werden von den gesetzlichen Krankenkassen auch dann nicht anerkannt, wenn diese über fachlich wie umfänglich fundierte psychotherapeutische sowie traumatherapeutische Qualifikationen verfügen. Gründlich ausgebildete HeilpraktikerInnen für Psychotherapie könnten die bestehende Versorgungslücke aber erheblich verringern helfen.
Durch die Beschränkung auf die drei Richtlinienverfahren werden Therapieverfahren, die in anderen europäischen Ländern zum Standard im Gesundheitswesen gehören, von der psychotherapeutischen Versorgung in Deutschland ausgeschlossen (Gestalttherapie, Körpertherapie, kreative Therapien, u.a.)
Für Betroffene hat das zur Folge, dass behandelbare traumabezogene Störungen nicht im notwendigen Maß behandelt werden (können). Das führt nicht nur zu einer unnötigen Verlängerung des Leidens, sondern in vielen Fällen auch zu teilweise vermeidbaren Klinikaufenthalten, Arbeitsunfähigkeiten und Frühverrentungen.
Die Initiative Phoenix fordert in ihrer Petition eine bedarfsgerechte Behandlung für komplexe Traumafolgestörungen.
Auszug aus dem Pressetext:
„Frankfurt am Main, 13. Februar 2016.
Die Mitglieder des gemeinnützigen Vereins Initiative Phoenix – Bundesnetzwerk für angemessene Psychotherapie e.V. trafen sich am Samstag, um über in diesem Jahr bevorstehende wichtige Änderungen für Menschen zu beraten, die wegen komplexer Traumafolgen Hilfebedarf haben.
Zum 30. April 2016 wird die Möglichkeit enden, Leistungen aus dem „Fonds Sexueller Missbrauch im familiären Bereich“ beantragen zu können.
Vor diesem Hintergrund wird sich die Versorgungsrealität vieler Betroffener wieder drastisch verschlechtern.
Sozialrechtlich hat in Deutschland jede/r Krankenversicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn diese ein Leiden verringern oder eine Verschlimmerung verhindern kann.
Die Initiative Phoenix fordert deshalb, die Ergänzung der Psychotherapie-Richtlinie um einen Behandlungsrahmen für komplexe Traumafolgestörungen, damit Kostenträger die Möglichkeit haben, diesem Anspruch angemessen gerecht zu werden.“
Auszüge aus der Petition:
„…Schwere bzw. komplexe und frühe Traumatisierungen verursachen chronische posttraumatische Belastungsstörungen mit diversen Komorbiditäten. Das sind seelische Krankheiten im Sinne dieser Richtlinie. Sie werden als „komplexe Traumafolgestörungen“ bezeichnet. Menschen, die Behandlung wegen komplexer Traumafolgestörungen benötigen, können überwiegend nicht die psychotherapeutischen Maßnahmen in Anspruch nehmen, die für ihr Störungsbild nötig und angemessen wären, da in der Richtlinie die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme durch die GKV für eine effiziente und auch ökonomisch sinnvolle Behandlung dieser Patientengruppe fehlen…
…Die fehlende Gewährleistung kontinuierlicher und dauerhafter ambulanter Psychotherapie wo sie nötig wäre führt zu erheblichen Versorgungsmängeln und unnötigen Folgekosten.
Viele Studien und Erfahrungswerte, auch Gerichtsurteile belegen die Notwendigkeit und (auch volkswirtschaftlich) ökonomische Sinnhaftigkeit angemessener Psychotherapie für Menschen mit komplexen Traumatisierungen in ihrer Biografie……Grundsätzlich fehlt in der Psychotherapie-Richtlinie ein Behandlungsrahmen für Menschen mit (komplexen) Traumafolgestörungen und die Zulassung qualifizierter TherapeutInnen zu Finanzierungsmöglichkeiten der GKV.
Fast jede/r dritte qualifizierte TherapeutIn muss wegen fehlender Kassenzulassung bis zu 70% der Anfragen für eine Traumatherapie ablehnen, jede/r Fünfte sogar mehr.
Die Mehrheit der Betroffenen, die einen Kassenplatz „ergattern“ muss aufgrund fehlender Finanzierungsmöglichkeiten ihre Psychotherapie unterbrechen.
Über 90% der TherapeutInnen dieser Erwachsenen beobachten in bzw. nach einer solchen unfreiwilligen Pause eine Zunahme psychosomatischer und somatischer Symptome, der Arbeitsunfähigkeit und der Medikamenteneinnahme.
Über 80% bestätigen eine Zunahme von selbstverletzendem Verhalten, von Substanzmissbrauch und Suizidalität.
Mehr als 80% der in der Phoenix-Studie erfassten BehandlerInnen aus stationären Einrichtungen glauben, dass eine Klinikeinweisung durch höhere Stundenkontingente für ambulante Traumatherapie mindestens manchmal vermieden werden kann…Deshalb fordert die Initiative Phoenix eine Ergänzung der Psychotherapie-Richtlinie wie folgt.
§ 23 (3) neu:
Für Patientinnen und Patienten mit komplexen Traumafolgestörungen kann verfahrensunabhängig der Behandlungsumfang auf ein Mehrfaches der Kontingente erweitert werden, solange ein Anspruch auf Krankenbehandlung nach §§23 und 70 SGB V besteht.„
weiterführende Informationen:
Petition der Initiative Phoenix für Bedarfsgerechte Psychotherapie
Pressemitteilung der Initiative Phoenix vom 13.02.2016:
Hallo, bin zufällig auf deine Seite gestoßen. Ich selbst bin EMDR-Therapeut und kann ein Lied davon singen, wie viele Menschen mit den Auswirkungen einer traumatischen Erfahrung ihr Leben bewältigen müssen. Manchmal fühlt es sich für mich an als würde ich den Strafbestand der „unterlassenen Hilfeleistung“ begehen, da ich leider viele Hilfesuchende aufgrund ihrer prekären Situation wieder sich selbst überlassen muss. Ich bin Heilpraktiker der Psychotherapie und habe eine EMDR-Ausbildung, die den europäischen Richtlinien entspricht. Die Methode ist auch seit 2013 für Posttraumatische Belastungsstörungen wissenschaftlich anerkannt und wird auch dann nach Richtlinienverfahren von der gesetzl. Kasse gezahlt, wenn du kein HPG-Psychotherapeut bist.
Vielen Dank für die Ergänzung.
EMDR kann als traumatherapeutische Prozesstechnik mit gesetzlichen Krankenkassen abgrechnet werden. Voraussetzung dafür ist, dass EMDR von einer PsychotherapeutIn mit Approbation im Rahmen der von den Krankenkassen zugelassenen Richtlinienpsychotherapieverfahren eingesetzt wird.
HeilprakterInnen für Psychotherapie, die eine EMDR-Fortbildung absolviert haben, auch wenn diese die europäischen Standards erfüllt, sind davon ausgenommen.
Dringend benötigte Therapieplätze könnten zur Verfügung stehen, würde Psychotherapie nach dem Heilpraktikergesetz bei solider psychotherapeutischer Ausbildung von den Kassen anerkannt und finanziert.
KlientInnen abweisen zu müssen, weil es keine gesicherte Therapiekostenübernahme gibt, ist für HPP-TherapeutInnen manchmal nur schwer aushaltbar. Für Betroffene ist es eine Katastrophe.